SOLOFLÖTISTIN


Ingrid Hasse lebt als gebürtige Südafrikanerin seit 1986 in Europa und ist seit 1993 als Soloflötistin im Mozarteumorchester Salzburg engagiert. Für unseren Blogeintrag erzählt sie über die mentalen Herausforderungen im Orchesteralltag und wie man sich als MannschaftssportlerIn gegenseitig zu Höchstleistungen pushen kann. 

 

Wie bist du als Kind/Jugendliche in die Musik reingewachsen?

Ich bin, glaube ich, relativ privilegiert in die Musik reingewachsen, weil ich sehr spät angefangen habe. Ich war in einer Schule mit tollem Musiklehrer und habe im guten Amateurbereich von Blockflöte über Gitarre, Klavier und Kontrabass viel ausprobiert. Das mit der Flöte kam erst mit 16 Jahren in die Gänge, das hatte auch den Grund, dass ich aus einem Land komme, in dem klassische Musik nicht so einen großen Stellenwert hat und ich mir erstmal einen Lehrer für den Flötenunterricht suchen musste. An der Universität war ich dann die einzige Flötistin und auch dort musste erstmal ein Lehrer gefunden werden. Bis auf Schallplatten von bekannten Flötisten hatte ich in dieser Zeit einfach auch keine Vergleichswerte und keine Mitbewerber. Ich habe damals also einfach so gespielt, wie ich wollte, außer der Lehrer hatte etwas dagegen. Das gab mir in meinen Anfangsjahren, gerade im Hinblick auf Ausdrucksweise, eine wunderbare Freiheit: mir hat zum Beispiel keiner mit 12 Jahren gesagt, du musst den Bach so und so spielen, sondern ich habe es einfach gemacht, wie ich es für richtig gehalten habe. 

Etwa bei Wettbewerben muss man schon sehr aufpassen, dass man als erfahrene MusikerIn die Kinder als genau die Diamanten sieht, die sie sind, und sie nicht rasch in eine Schublade steckt. 

Bei mir war bis auf ein oder zwei „Niederlagen“ bei Vorspielabenden oder Konzerten in dieser Zeit einfach kein Druck zu spüren. Und dieses unbedarfte, fast naive Spielen am Instrument war eine sehr bereichernde Erfahrung.  

 

Wie reagiert man auf Höhen und Tiefen?

Wie im Musikerleben gibt es auch persönlich immer wieder Aufs und Abs. Da gibt es Phasen, in denen man nicht so gut drauf ist. Natürlich gibt es vor großen Projekten, bei denen man gerne mal drei Monate vorher mit der Vorbereitung beginnt, ein Flattern und einen spürbaren Druck vor dem Konzert. Aber das wäre ja auch arg, wenn dem nicht so wäre. 

Ich versuche, mich immer so gewissenhaft vorzubereiten, dass ich entspannt in die Konzert-Situation reingehen kann. Da muss zum einen Mal das Material passen, wobei das bei Flöten im Vergleich zu den Rohrblasinstrumenten ein harmloses Thema ist, die haben da viel mehr Stress. Dann steht auch die Vorbereitung an ganz hoher Stelle. Wenn ich mich an die Zeit zurückerinnere, wo meine drei Kinder klein waren, da hatte ich schon Stress, einfach deswegen weil mir die Zeit gefehlt hat. Wichtige Grundvoraussetzungen sind aber auch Gesundheit, eine körperliche Stabilität und dann auch noch Erfahrung und Routine. 

 

Wie geht man mit schlechten Tagen oder gefühlten Niederlagen um? Prägt das?

Das ist sicher immer subjektiv, so wie auch jeder Mensch unterschiedlich auf Druck reagiert. Ich glaube, ich bin da eher ein Kämpfer-Typ, der sowas nicht einfach hinnimmt, weil ich eben auch Ziele erreichen will. Aber sicher muss man es auch mal hinnehmen, dass etwas nicht so klappt, wie geplant. Da versuche ich das Tief anzunehmen und daraus zu lernen. Mir ist es immer auch wichtig, mich daran zu erinnern, was wir hier haben und was für Möglichkeiten ich etwa mein ganzes Leben lang haben durfte. Das beginnt da, wo wir herkommen, und diese Dankbarkeit bringt mir eine gewisse Gelassenheit. Und in schweren Zeiten kann sich jeder irgendwo Hilfe holen. Ich buddele zum Beispiel wahnsinnig gerne im Garten, das bringt mich schnell „down to earth“. Heißt ja auch nicht umsonst so.

 

Erwartungen spielen für MusikerInnen eine große Rolle. Bremst dieser selbst auferlegte, aber auch von KollegInnen und vom Publikum herangetragene Druck, oder stärkt er sogar?

Beides. Da sehe ich Parallelen zu vielen Dingen im Leben, ich glaube, die Balance macht es aus. Wollen – aber nicht zu viel, Spannung – aber nicht zu viel. Loslassen, führen und auch unterordnen. Diesen Mittelweg zu finden, ist spannend. Dieser Druck gehört dazu und es wäre auch schlimm, wenn es den nicht gäbe. Man setzt sich Ziele und versucht sie, so gut es eben geht, umzusetzen. Das Wichtigste ist, dass man nicht zu viel will. Man steht ja immer im Dienst der Sache. Man will sich natürlich auch selber darstellen, das gehört auch dazu, aber auch hier braucht es eine gesunde Mischung.

 

Wie verändert sich das mit der Erfahrung?

Ich war eine Spätentwicklerin und bin damals auch aus allen Wolken gefallen, als ich das Probespiel in Salzburg gewonnen habe. Als junge Musikerin hatte ich das Glück, diese „Naivität“ mitzubringen, da spielt man einfach sehr frei. Als ich im Orchester angefangen habe, war ich technisch zwar super in Form, aber im Hinblick auf Erfahrung auf Stufe Null (lacht). Es war vielleicht nicht ganz so schlimm, aber ich war nicht da, wo ich hätte sein sollen. Das heißt, ich war so beschäftigt mit „Die-Kurve-Kriegen“, dass ich mir keine Gedanken gemacht habe, ob meine Leistung reicht, um diese Stelle auszufüllen. Ich habe einfach „gemacht“. Man muss auch anmerken, dass der Druck damals natürlich deutlich geringer war als heute. Diese jugendliche Naivität bedingt eben einfach auch, dass man sich selber mehr mitteilt und weniger in eine Schiene gedrückt wird. Das finde ich heutzutage oft sehr schade, dass bei jungen MusikerInnen durch die „Erziehung“ oft schon früh die Persönlichkeit hinten angestellt wird. 

 

Wie bereitest du dich vor, um im Konzert „abliefern“ zu können?

Für mich ist die Generalprobe bzw. die ganze Probenwoche sehr wichtig. Und ich versuche daher immer, optimal vorbereitet in die erste Probe zu kommen, damit die persönlichen Hürden in den Proben so gering wie möglich sind. Das gibt mir die Möglichkeit, Ohren und Augen immer auch links und rechts von mir zu haben und mitzubekommen, was in der Musik passiert. Bei einer Generalprobe gebe ich dann immer Vollgas und versuche vor allem, mich körperlich einzustellen. 

Vor einem Konzert bin ich immer rechtzeitig vor Ort und versuche, vom Atem her ruhig zu werden und das Körperempfinden zu stärken. Vor allem meine Körpermitte zu finden, macht mich ruhig. Das schaffe ich vor allem durch die Haltung und eine bewusste Atmung. Das kann man sich ganz bewusst aneignen und hat bei mir vor allem mit Yoga funktioniert. Wenn ich merke, dass ich mal nervös werde, versuche ich nur mehr an die Musik zu denken und den Moment zu leben. Und wenn der Druck mal spürbar wird, ist es halt einfach so, dass ich alles außer der Musik auszublenden und mich durch eine gute körperliche Haltung zu stärken versuche.

 

Hilft die Gemeinschaft im Orchester?

Das größte Geschenk aber und auch eine riesige Hilfe ist es, in einem Orchester spielen zu dürfen. Das ist auch immer ein Geben und Nehmen. Jedes Orchester setzt sich aus verschiedensten Charakteren zusammen. Und da gibt es immer wieder einige KollegInnen, die mir da mit ihrer Ausstrahlung und ihrem Charakter schon rein optisch helfen. Wenn ich die anschaue und diese Balance aus Kraft und Lockerheit spüre und noch bemerke, wie sie die Musik genießen, dann pusht das schon sehr. Diese positive Verbindung zwischen den Menschen im Orchester hilft mir total. Und wenn man, wie in meinem Umfeld, mit gegenseitigem Respekt auf der Bühne miteinander musiziert, dann löst das einen großen Willen und eine positive Kraft aus. Da trägt man sich gegenseitig. Es ist diese Mischung aus Kämpfen und Autopilot auf der Bühne, die so ein bestimmtes „High“ auslöst. Und das kann ich vor allem dann genießen, wenn das Miteinander klappt und das Orchester als Kollektiv spielt. Ein Orchester ist Mannschaftssport und da bringt es nichts, wenn einer alleine auf das Tor zuläuft. Das ist auch das, was uns momentan so sehr fehlt! Jeder übt für sich alleine im Übe- Zimmer. Dass wir als Kollektiv vor einem Publikum auf die Bühne gehen, das macht die Kunst aus und fehlt uns allen sehr.

 

Was magst du als erfahrene Musikerin jungen KünstlerInnen mitgeben?

Man muss immer versuchen, sich selber so zu akzeptieren, wie man ist, sowohl seine Stärken als auch seine Schwächen. Es ist wichtig, die Balance zu finden. Auch mit Blick darauf, sich anpassen und sich selber ausdrücken zu wollen. Auch bei Probespielen ist es oft sekundär, wer am schnellsten oder tollsten spielen kann. Es ist diese persönliche Färbung, die ausmacht, ob Musik ankommt. Die Liebe zur Musik muss spürbar sein, das ist das Einzige, was die Leute wirklich erreicht. Alle Orchester spielen gut, aber der Sinn unseres Daseins ist es, Menschen zu berühren. Diese(n) Beruf(-ung) als Geschenk zu sehen und sich das immer wieder bewusst zu machen, das wünsche ich jungen Leuten. Man kann aus jedem Abend einen besonderen machen, auch wenn man das Stück schon zum zehnten Mal spielt. Wir können nur existieren, wenn ein Publikum da ist und wir haben eine Verantwortung den ZuhörerInnen gegenüber. Es kann nicht immer gleich gut laufen, aber wir sollten versuchen, aus jeder Minute Musik etwas Besonderes zu machen. Konzentration auf die Musik finde ich wichtig, denn es gibt immer was Neues zu entdecken und es gibt auch immer etwas zu verbessern. Man wächst immer weiter und entwickelt sich weiter. Es ist unserer Aufgabe, dem Publikum unvergessliche Momente zu schenken. Und das ist das Schönste an unserer Berufung.  

 


Herzlichen Dank an unseren Posaunisten Thomas Weiss für die Initiative und Umsetzung des Backstage Blogs!